Erstellungsdatum 2023-10-06 18:09:03

In den Städten, Gemeinden und Landkreisen Baden-Württembergs wurden in den letzten 20 Monaten mehr als 200.000 Geflüchtete aufgenommen. Ein eindeutiger Beleg dafür, dass die baden-württembergischen Kommunen in einem Maße zu ihrer humanitären Verantwortung stehen, wie kaum anderswo innerhalb der EU.

Die Städte und Gemeinden machen jedoch deutlich: Die regulären Aufnahmekapazitäten sind längst belegt und die Integrationsressourcen überlastet: in den Kitas gibt es keine freien Plätze, die Schulen sind voll, die ärztliche Versorgung über der Belastungsgrenze und auch Sprachkurse sind nicht annähernd in ausreichendem Maße verfügbar. Das Personal in den Ausländerbehörden arbeitet weit über dem Limit. Die Grenzen des Machbaren sind erreicht.

„Darauf weisen die Kommunen nun bereits seit Monaten hin. Ohne Ergebnis“, so Gemeindetagspräsident Steffen Jäger mit Blick auf die Lage in den Städten und Gemeinden. „Außer kleinteiligen Initiativen und vielen Ankündigungen gibt es bislang keine wirksamen Maßnahmen. Nun will der Bund sogar noch die finanzielle Unterstützung für die Kommunen kürzen, anstatt sie an die tatsächlichen Kosten anzupassen. All das geht weit an der kommunalen Realität in den Städten und Gemeinden vorbei und die Menschen spüren das. Das Resultat ist ein zunehmendes Wegbrechen der Akzeptanz für die Aufnahme geflüchteter Menschen insgesamt und eine besorgniserregende Stärkung des rechten politischen Randes. In dieser Situation steigt nun die Zahl der Asylzugänge auf ein historisches Hoch.

Wenn das Vertrauen der Menschen in einen funktionierenden Staat nicht weiter gefährdet werden soll, braucht es in dieser außerordentlichen Belastungssituation eine der Realität in den Kommunen gerecht werdende Anpassung der Migrationspolitik. Es braucht nun endlich eine gesunde Portion Realitätssinn im Hinblick darauf, was vor Ort in den Kommunen tatsächlich noch leistbar ist. Die Diskussion darüber muss weg von parteipolitischen Wagenburgen und endlich wieder zurück auf eine faktenbasierte Grundlage geführt werden.
Die Lage ist ernst! Die Städte und Gemeinden wollen und werden weiterhin ihren Teil beitragen. Es braucht nun aber schnelle und wirksame Maßnahmen, um eine Überforderung des Gemeinwesens abzuwenden. Denn bis ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) wirkt, wird es mindestens noch Monate dauern. Wenn europäische Solidarität bei der Geflüchtetenaufnahme nicht auf freiwilliger Basis erreicht werden kann, muss sie jetzt forciert werden.“

Jäger betont, die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg könnten die Zugänge nicht begrenzen und auch nicht für europäische Solidarität sorgen. Dafür liege im föderalen Staat die Zuständigkeit klar beim Bund. „Wir fordern daher die Bundesregierung auf, endlich eine wirksame Begrenzungsstrategie umzusetzen. Wir erwarten von Bund und Ländern hierzu klare und wirksame Verabredungen, die nicht von moralischen Grundsätzen, sondern von den tatsächlichen operativen Möglichkeiten geleitet sind und zugleich das Akzeptanzgleichgewicht der Bevölkerung im Blick behalten.“

Der Landesvorstand des Gemeindetags hat sich daher einstimmig wie folgt positioniert: Aus Sicht der Städte und Gemeinden sollten insbesondere Sofortmaßnahmen ergriffen werden:

  1. Eine konsequente Begrenzung der irregulären Zuwanderung spätestens an den deutschen Außengrenzen auch durch die Einführung von Grenzkontrollen. Die Regelungen im Zusammenhang mit der Dublin-III- Verordnung, wonach Flüchtlinge, die versuchen über einen sicheren Drittsaat nach Deutschland einzureisen, an diesen zurückzuweisen sind, müssen zudem konsequent und zügig umgesetzt werden.
  2. Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer nicht nur um die Republik Moldau und Georgien, sondern etwa auch um die Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien sowie die Türkei.
  3. Die Beschleunigung der Asylverfahren, sodass die behördliche Entscheidung bereits in der Erstaufnahme getroffen wird. Eine Weiterverteilung auf die Kommunen darf nur erfolgen, wenn ein Bleiberecht wirksam festgestellt wurde.
  4. Die Überprüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Verfahren und die Beschleunigung des Rechtswegs. Dass in 81,1 Prozent der abgelehnten Verfahren ein Klageverfahren angestrengt wird, ist in einem Rechtsstaat grundsätzlich nicht verwerflich. Allerdings enden lediglich 17,6 Prozent dieser Verfahren mit einer gerichtlichen Anerkennung des Schutzstatus. Hier müssen effizientere und schnellere Entscheidungswege etabliert werden.
  5. Die Aberkennung des Aufenthaltsrechts von Personen, die schwere Straftaten oder Gewaltverbrechen begehen, sich als Schleuser betätigen oder die Polizei- bzw. Einsatzkräfte gewaltsam angreifen, zu ermöglichen und für diesen Personenkreis eine Rückführung rechtlich zu erleichtern.
  6. Ein stärkeres und gezielteres Einfordern der Arbeitsmarktintegration der anerkannten Asylbewerber zu regeln. Die Arbeitslosenquote von Personen aus den acht wichtigsten außereuropäischen Herkunftsländern liegt laut Sachverständigenrat Migration im April 2023 bei 30,7 Prozent. Dies macht deutlich: Die Rahmenbedingungen für eine gelingende Arbeitsmarktintegration sind nicht optimal. Hier muss es darum gehen, in Zeiten des Arbeitskräftemangels den Einstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern, aber auch einzufordern. Fortbestehende Beschäftigungsverbote sollten überprüft und die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse erleichtert werden. Sozialleistungen wiederum müssen enger mit konkreten Mitwirkungspflichten verbunden werden. Dazu gehören auch Leistungskürzungen, wenn zur Verfügung gestellte Arbeitsgelegenheiten nicht wahrgenommen werden.
  7. Die Anreize für eine Sekundärmigration nach Deutschland zu senken, und dazu die Sozialleistungsstandards so anzupassen, dass eine gleichmäßige Verteilung in Europa einfacher möglich wird.
  8. Die rasche und vollständige Verabschiedung des EU-Asyl- und Migrationspakets muss von der Bundesregierung vorangetrieben und darf von ihr auf keinen Fall blockiert werden.

„Dieser Vorschlag für eine Begrenzungsstrategie sehen wir in Ergänzung zur „Stuttgarter Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik“ der Kommunalen Landesverbände vom 7. März 2023. Denn darum muss es doch gehen: Realitätsbezogen und sachorientiert Lösungen für die Unterbringung und Integration zu finden“, so Gemeindetagspräsident Jäger abschließend.

Einen Auszug aus der „Stuttgarter Erklärung“ vom 7. März 2023 finden Sie hier:

„Der 12-Punkte-Plan für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik „Konsequenz in beide Richtungen“ schlägt folgende Maßnahmen vor:

  • Europaweit gleichmäßige Verteilung
  • Harmonisierung der Integrations- und Sozialleistungen innerhalb der EU
  • Nationale Ankunftszentren zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Registrierung
  • BAMF-Antragsstrecken zur schnellen Klärung von Aufenthaltschancen (24-Stunden-Verfahren)
  • Rückführung der Personen ohne Bleibeperspektive direkt aus den nationalen Ankunftszentren
  • Ausweitung der bilateralen Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern
  • Weiterverteilung von Asylbewerbern auf die Bundesländer nur mit Bleibeperspektive
  • Verbindliche Integrationsmaßnahmen im Rahmen der vorläufigen Unterbringung
  • Vollständige Kostenerstattung für kommunale Aufwendungen
  • Mehr Wohnraum, mehr Kitas, mehr Integration
  • Durch Standardabbau und Entbürokratisierung Personalnot begegnen
  • Arbeitsmigration bedarfsgerecht weiterentwickeln“